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Montag, 17. Oktober 2011

Wenn der Chef chatten lässt

Mit „Chatter“will die US-Firma Salesforce ein „Facebook für Firmen“ kreieren, damit das Intranet abschaffen und neuartige Kommunikation mit Kunden ermöglichen. Doch die Auslagerung von internen Firmendaten auf ausländische Server macht IT-Abteilungen und Datenschützer nervös.
Weder „Was gibt’s Neues?“ noch „Was machst du gerade?“: Wer sich künftig in der Arbeit in ein Online-Netzwerk einloggt, könnte mit der Frage „Woran arbeitest du gerade?“ konfrontiert werden. Das sehen zumindest die Pläne der US-Firma Salesforce vor. Auf der Hauskonferenz „Dreamforce“ in San Francisco stellte Salesforce-Chef Marc Benioff (47) seine Vision des „Social Enterprise“ vor. Nach der Desktop-Dekade („Bill Gates kontrollierte sie“) und der Mobile-Ära („Danke, Steve Jobs“) sei jetzt die Zeit für das „soziale Unternehmen“ reif.
„Wir haben Mubarak und Gaddafi fallen sehen“, sagte Benioff in Anspielung an die oft als „Facebook-Revolutionen“ bezeichneten Volksaufstände in Nordafrika Anfang des Jahres. „Wann wird der erste Firmenchef fallen, weil er nicht auf seine Kunden und auf seine Mitarbeiter hörte?“

Vorbild Facebook
Deswegen will Salesforce sein 2010 gestartetes Online-Netzwerk www.chatter.com – derzeit bei etwa 150.000 Firmen im Einsatz – jetzt zum ultimativen „Facebook für Firmen“ ausbauen. 1,1 Milliarden Nutzer von „Social Networks“ gebe es weltweit, die 22 Prozent ihrer Online-Zeit bei Diensten wie Facebook und Twitter verbringen würden, so Benioff. Da sei es nur logisch, die Technologien auch für die Unternehmenskommunikation einzusetzen.
„Das Intranet, wie wir es heute kennen, ist am Aussterben“, sagt Salesforce-Manager Woodson Martin im KURIER-Gespräch. Chatter würde die Produktivität in einem Unternehmen ankurbeln: Vor allem das Projekt-Management und das gemeinsame Erstellen von Dokumenten sei effizienter. Und: Mitarbeiter mit guten Ideen hätten es jetzt leichter, in der Chefetage aufzufallen, weil Chatter Hierarchien verflachen würde.

Konflikte
Problemlos ist die Einführung von Chatter in einer Firma aber nicht, wie etwa Michael Blickle, Vizepräsident der Grazer Firma AVL (Entwicklung von Antriebssystemen), berichtet. 1250 seiner 6000 Mitarbeiter hätten einen Chatter-Account, und er als Chef könne sich über die neue Datenqualität („so gut wie nie zuvor“) freuen. Auch der interne eMail-Verkehr sei deutlich zurückgegangen. Leider gebe es einen Generationenkonflikt: „Die Über-40-Jährigen sehen Chatter als Zusatzbelastung“, so Blickle. Es sei derzeit eine seiner drei schwersten Aufgaben, den Chatter-Betrieb reibungsloser zu gestalten.
Zweifel an Chatter gibt es aber auch, weil damit interne Daten auf Salesforce-Server im Ausland (derzeit in den USA und Asien) ausgelagert werden. Via „Patriot Act“ hat die US-Regierung dann theoretisch Zugriff auf die Daten europäischer Unternehmen. Aber auch dafür will Salesforce eine Lösung parat haben: Ab dem Frühjahr 2012 gibt es mit der so genannten „Data Residency Option“ (sie basiert auf dem Zukauf der israelischen Firma Navajo Systems) die Möglichkeit, sensible Daten auf den eigenen Rechnern zu belassen und verschlüsselt immer nur dann an Chatter zu senden, wenn sie dort abgefragt werden.
In den IT-Abteilungen sorgt aber nicht nur die Datenauslagerung für Unruhe. Jim, ein IT-Experte bei einer großen Firma aus Seattle, meint etwa: „Für Manager klingt das alles verlockend: Es ist billig, braucht keine Wartung und ist von den Mitarbeitern leicht zu bedienen.“ Aber: „Stell dir vor, du willst in zehn Jahren bei Chatter aussteigen. Es kostet dich Hunderttausende Dollar, die Daten dort wieder rauszubekommen.“

Ausbau
Bei Chatter bleibt es aber nicht bei der internen Kommunikation. Auch Konsumenten werden im Sinne der Kundenpflege Accounts angeboten, damit sie direkt mit Kundenbetreuern kommunizieren können. Salesforce baut dazu auch seinen Dienst Data.com aus, der automatisch Infos über den Kunden aus dessen Profilen bei Facebook, Twitter und LinkedIn ausliest. „Aus Online-Fotos könnte eine Versicherung auf Kinder rückschließen und ein Angebot entsprechend personalisieren“, so Salesforce-Manager Martin.
In Mitteleuropa wird diese Funktion wohl auf Widerstand bei Datenschützern stoßen – nicht zuletzt deswegen, weil der Dienst „Jigsaw“, auf dem Data.com basiert, in Deutschland gar nicht erlaubt ist.

Arbeitsalltag mit Chatter - Funktionen:
Profil: Jeder Mitarbeiter hat einen Account, in dem er sich mit Foto und Lebenslauf präsentiert.
Kommunikation: Anstatt eMails zu schreiben, kann man Kollegen eine Direktnachricht schicken, mit ihnen einen Live-Chat starten oder auf ihre Pinnwand posten.
Folgen: Ähnlich wie bei Twitter kann man Mitarbeitern – oder dem Chef – folgen und wird so immer informiert, wenn diese Neuigkeiten über ihre Arbeitsfortschritte bei Chatter veröffentlichen.
Dokumente: Präsentationen, Statistiken oder Texte lassen sich bei Chatter hochladen und zur Bearbeitung durch Team-Mitglieder freigeben.
Kunden: Diese können in separate Chatter-Gruppen eingeladen und dort direkt (z. B. in einem Live-Chat) betreut werden.
Kosten: Chatter kann kostenlos genutzt werden. Will man aber die volle Funktionalität, zahlt man etwa 10 Euro pro Nutzer und Monat.

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